Die Digitalisierung eröffnet besonders für Länder im Globalen Süden viele Chancen. Im Bildungsbereich etwa ermöglicht die Digitalisierung den Zugang zu Online-Kursen und -Ressourcen, die die Bildungschancen erheblich verbessern und es Lernenden in abgelegenen Regionen ermöglichen, qualitativ hochwertige Bildung zu erhalten. Sie bietet zudem zahlreiche weitere Vorteile, wie eine effizientere Verwaltung von Prozessen, verbesserte Kommunikation und den Zugang zu Informationen. Hierdurch kann flexibler, transparenter und barrierefreier gearbeitet werden. Zudem kann die Zusammenarbeit über große Distanzen erheblich erleichtert werden, weshalb viele Menschen die Hoffnung hegen, dass die Digitalisierung den Ländern des Globalen Südens bessere Chancen bietet. Und tatsächlich sind durch digitalen Handel und die Vergabe digitaler Aufträge zahlreiche neue Arbeitsplätze vor allem im Bereich „Crowdworking“ entstanden.
Crowdworking
Durch digitalen Handel und die Vergabe digitaler Aufträge sind zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden. So veröffentlichen Auftraggeber auf Plattformen für digitale Arbeiten (wie etwa Amazon Mechanical Turk (MTurk), Fiverr oder Freelancer) ihre Aufgaben, wie zum Beispiel das Durchführen von Umfragen, das Bearbeiten von Bildern, das Überwachen von Inhalten auf Social-Media-Kanälen und ähnliche Tätigkeiten. Die Plattformarbeiter greifen dann weltweit auf diese Aufgaben zu und erledigen sie direkt auf der Plattform. Dieser Prozess wird als „Crowdworking“ bezeichnet. Dabei geben die Auftraggeber ihre Aufgaben an eine unbekannte Masse von Menschen, also eine große Menge an Einzelpersonen, weiter.
Bei der Plattformarbeit ist die Konkurrenz jedoch groß, was den Auftraggebern die Möglichkeit gibt, die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu gestalten. Untersuchungen zeigen, dass die Auftragslage unsicher und die Löhne niedrig sind. Der Arbeitsdruck ist hoch und die Arbeiter können ständig überwacht werden. Selbst bei hoher Bildung gibt es keine Aussicht auf bessere Arbeitsverhältnisse. Zudem sind nur wenige Plattformarbeiter kranken- oder rentenversichert. Dementsprechend leiden nicht wenige Crowdworker unter den geringen Vergütungen und der Unsicherheit bezüglich zukünftiger Aufträge.
Daher müssen für Plattformarbeiter klare Regeln zu den Arbeitsbedingungen und zum Arbeitsschutz etabliert werden. Unternehmen müssen die Verantwortung für ihre Arbeitsplätze weltweit übernehmen, einschließlich digitaler Arbeitsplätze.
Ein erster Schritt in diese Richtung war die Verabschiedung des Lieferkettengesetzes. Dieses Gesetz nimmt Konzerne in die Pflicht, sicherzustellen, dass sie und ihre Zulieferer weltweit Arbeitsschutzmaßnahmen und gesetzlich geregelte Arbeitsbedingungen einhalten. Allerdings muss das Lieferkettengesetz noch weiter gestärkt und ausgeweitet werden.
Herausforderungen und Risiken der digitalen Kluft
Trotz dieser Vorteile und Chancen bringt die Digitalisierung auch erhebliche Herausforderungen mit sich, wie die Gefahr von Datenmissbrauch und die zunehmende digitale Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die als „digital divide“ gefasst wird und insbesondere in vielen Ländern des Globalen Südens sehr ausgeprägt ist, da hier Infrastruktur und Zugang zu Technologien oft unzureichend sind. Zudem ist bei der Plattformarbeit die Konkurrenz sehr groß, was den Auftraggebern die Möglichkeit gibt, die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu gestalten.
Empirische Untersuchungen deuten zudem darauf hin, dass die Rückverlagerung industrieller Produktion aus dem Globalen Süden (sog. Reshoring) signifikant zunimmt. So führen Digitalisierung und Veränderungen in den Produktionsprozessen zu niedrigeren Arbeitskosten, die zuvor einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil für Länder des Globalen Südens ausmachten. Unternehmen, die ihre Produktionsprozesse stärker digitalisierten, neigen somit weniger dazu, Funktionen ins Ausland zu verlagern.
Diese und viele weitere Punkte machen deutlich, dass es daher unerlässlich ist, dass wir nicht nur die positiven Aspekte der Digitalisierung fördern, sondern auch Strategien entwickeln, um die negativen Folgen zu minimieren und eine inklusive digitale Zukunft zu gestalten. Denn ohne Regulierung droht die Digitalisierung, die bestehende Ungleichheit innerhalb der Länder sowie zwischen dem Globalen Süden und Norden eher weiter zu verschärfen, anstatt sie zu minimieren.
Das Internet als zweischneidiges Schwert
In diesem Sinne ist auch das Internet ein zweischneidiges Schwert: Einerseits fördert es Freiheit, indem es globalen Zugang zu Informationen bietet, den Ideenaustausch erleichtert und die Vernetzung sowie freie Meinungsäußerung ermöglicht. Andererseits kann es aber auch als Kontrollinstrument dienen, da Regierungen und Unternehmen Überwachungs- und Zensurtechnologien nutzen können, um den Datenverkehr zu überwachen und den Zugang zu bestimmten Inhalten einzuschränken, was die Privatsphäre bedroht.
Besonders deutlich wurde dies beispielsweise im Kontext des Arabischen Frühlings. So diente das Internet hier vielen Aktivisten als Kommunikations- und Informationsmedium und ermöglichte es vielen Menschen sich zu organisieren. Infolgedessen begannen aber einige repressive Staaten damit digital aufzurüsten. Auf der einen Seite um Überwachungstechnologien zu installieren und gezielt Daten zu sammeln, womit bspw. Protestposts als Beweismittel genutzt wurden, was zur Inhaftierung vieler Aktivisten führte. Auf der anderen Seite aber auch, um den Zugang zu Informationen zu unterbinden und bspw. Social Media Plattformen oder andere Websites zu sperren. Hierdurch konnten einige digitale Proteste geschwächt und Widerstand unterdrückt werden.
Wie an vielen Beispielen deutlich wird, hat das Internet in liberalen Demokratien hingegen eher seine emanzipatorische Kraft entfaltet. So nutzen Bürger Smartphones, um Polizeigewalt und rassistische Übergriffe zu dokumentieren, Aktivisten setzen den Staat unter Druck, für mehr Transparenz zu sorgen, und Blogger schaffen zivilgesellschaftliche Gegenöffentlichkeiten, auch wenn die Kontrolle der digitalen Öffentlichkeit durch wenige kapitalistische Konzerne erschwert wird.
Desinformation und Manipulation durch Soziale Medien
In vielen Ländern des Globalen Südens wurden Soziale Medien hingegen oftmals zu Brutstätten von Desinformation, Hass und Gewalt. Besonders deutlich wird dies in Ländern wie Mali und der Zentralafrikanischen Republik, wo die Wagner-Söldnergruppe gezielt Desinformationen einsetzt, indem sie über soziale Medien gefälschte Nachrichten und propagandistische Inhalte verbreitet. Ziel ist es, die lokale Unterstützung für russische Interessen zu stärken und die eigene Präsenz und Einflussnahme in der Region zu legitimieren. Dies liegt mitunter auch daran, dass in diesen Regionen die Plattformen noch weniger effektiv gegen solche Inhalte agieren als bspw. in den USA und Europa.
Die Facebook Papers von 2021 zeigten demnach, wie der Konzern Meta in Ländern wie Indien und Äthiopien daran scheitert, irreführende Beiträge und Gewaltaufrufe zu verhindern, da nicht genug in Faktenprüfer, Moderatoren und passende Algorithmen investiert wird. Diese Algorithmen fördern oft besonders emotionale und polarisierende Inhalte, was die Probleme noch verschärft. Trotz dieser Herausforderungen nutzen Menschen in repressiven Staaten weiterhin soziale Medien für ihren Widerstand.
Frauen im Iran posteten zum Beispiel auf Instagram Videos, in denen sie ohne Kopftuch tanzen, um gegen die Moralpolitik des Regimes zu protestieren. In Nigeria organisierten sich 2020 viele junge Menschen unter dem Hashtag #EndSARS auf X (ehemals Twitter), um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren.
Zensur und Netzsperren: Reaktionen repressiver Regierungen
Die Reaktionen der Regierungen sind häufig ähnlich: Sie blockieren den Zugang zu sozialen Medien. So wurden etwa Facebook und Twitter im Iran gesperrt, Twitter in Nigeria vorübergehend blockiert und auch in der Türkei wurden Plattformen wie Wikipedia jahrelang unzugänglich gemacht. Einige Menschen umgehen diese Sperren mit Verschlüsselungs- und Anonymisierungstools, aber Netzsperren bleiben ein wirksames Mittel gegen digitalen Protest.
Vor allem vor Wahlen oder während Protesten hat es sich besonders in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern bewährt das Internet in einigen Regionen sogar ganz abzuschalten. Dies nimmt der Bevölkerung die Möglichkeit, sich zu informieren und zu vernetzen. Laut der NGO Access Now gab es bspw. 2020 weltweit 155 solcher Shutdowns, wobei Indien mit 109 Abschaltungen an der Spitze stand. Insgesamt summierten sich diese Shutdowns auf über 3.000 Tage.
Doch nicht nur die Shutdowns, sondern auch die generelle digitale Infrastruktur führen dazu, dass die digitale Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen immer größer wird. Dies wird auch als „digital divide“ bezeichnet und ist insbesondere in vielen Ländern des Globalen Südens sehr ausgeprägt.